Mittwoch, 29. Juli 2015

kleines Lexikon zu den Spielarten von Taiji und Qigong

...die folgenden Erläuterungen können als Glossar oder Inhaltsverzeichnis durch die Welt der inneren Kampf- und Bewegungskünste, die ihren Ursprung im chinesischen Kulturkreis haben, mitunter hilfreich sein:

                           



Übersetzung und Schreibweise von Begriffen 



Ein erster Schritt zur Auflösung von Verwirrung kann vielleicht sein, sich über die verschiedenen Schreibweisen von ein- und denselben Begriffen im Klaren zu sein. Denn in der chinesischen Sprache gibt es kein Alphabet, welches stimmig in Buchstaben nach westlichem Maßstab übertragen werden kann. Zudem werden die aus Piktogrammen entstandenen chinesischen Schriftzeichen zwar landesweit gleich geschrieben, aber regional oft sehr unterschiedlich ausgesprochen. Daher stellt sich für den westlichen Übersetzer folgendes Problem der Transkription: nach welchen phonetischen Kriterien sollen die gesprochenen Worte aus dem Chinesischen in welcher Weise als geschriebene Worte in einer westlichen Sprache verfasst werden?

Da es bekanntlich im englischen, französischen und deutschen Sprachraum zudem eine unterschiedliche Aussprache und Klangfarbe des lateinischen Alphabets gibt, herrschen somit auch unterschiedliche Vorlieben für einen der Übersetzungsstile vor. In der Folge haben wir heute also mehrere Transkriptionssysteme, die weltweit nebeneinander verwendet werden, und deshalb habe ich im Folgenden gelegentlich zwei Schreibweisen parallel verwendet...



Qigong / Chi Kung

Die ältesten Tonscherben, auf denen Menschen bei Qigong-Übungen abgebildet sind, sollen 6000 Jahre alt sein. Seitdem haben sich schätzungsweise über 3000 Qigong-Arten herausgebildet, die von stillen, inneren Meditationen bis hin zu sehr dynamischen, choreographierten Bewegungsfolgen oder auch formfreien, ekstatischen Übungen reichen.
Qi (Chi) ist in der chinesischen Vorstellungswelt die subtile, feinstoffliche Energie, die alle Lebensprozesse auf unserem Planeten bedingt, und die in uns Lebewesen ungehindert und ausreichend zirkulieren muss, damit wir uns einer stabilen Gesundheit erfreuen. Zur Stärkung und Unterstützung von gesundheitlicher Balance und geistiger Klarheit sollte man jenes alte Wissen um die Wirkungsweisen vom Qi in hilfreicher Weise anwenden, z.B. mit den heilgymnastischen Übungen. Qigong (Chi Kung) meint demnach die Kunst(fertigkeit), das Qi zu kultivieren.

Im Westen gehören zu den bekanntesten Qigong-Arten die Bewegungsfolgen der "Acht Brokate" oder die "18 Bilder Taiji-Qigong". Ich persönlich benutze neben diesen gerne auch Übungsreihen wie "Herz-Qigong" oder "Lungen-Qigong" aus der Laoshan-Tradition, bei denen vor allem das energetische Verhältnis der fünf Elemente/Wandlungsphasen (Holz/Luft, Feuer, Erde, Metall/Raum, Wasser) reguliert wird. Grundlegendes Prinzip ist dabei das Daoyin Yangsheng (Dehnen & Leiten), da durch den vertieften Rhythmus aus dosiertem Aufspannen und Entspannen des Körpers, gekoppelt mit koordinierter Atmung, das Qi quasi durch die Meridiane gespült wird.


Taiji / Tai Chi

Der Begriff Taiji oder Tai Ji setzt sich zusammen aus dem Zeichen für "groß" oder "übergroß" und dem Zeichen für "Gipfel" oder "höchster Punkt". In der Zusammensetzung wird oft die Deutung als "das vollkommene Ganze" oder die "Einheit der gegensätzlichen Kräfte von Yin-Yang" favorisiert. Jedenfalls ist das weichgesprochene Zeichen Ji deutlich verschieden vom hartgesprochenen Qi, und deshalb finde ich die gleiche Schreibweise als Chi eher irreführend.
Im engeren Sinne ist Taiji also ein zentraler Ausdruck der taoistischen Philosophie, welche den permanenten Wandel aller Dinge in den Fokus schiebt und Anweisungen für die Ausbalancierung der verschiedenen, zum Teil gegensätzlichen Tendenzen in Natur und Gesellschaft entwirft. Klassiker des Taoismus (Daoismus) sind sie Autoren Laotse (Laotzu) und Chuangtse (Zhuangzi) aus dem 5 Jh. vor unserer Zeitrechnung. Damit ist der philosophische Begriff Taiji wesentlich älter als jenes Bewegungstraining, mit dem wir heute zu tun haben, aber beides wird gleichwohl synonym als Taiji (Tai Chi) bezeichnet.    


Taijiquan / Tai Chi Chuan

Quan (Chuan) ist das chinesische Zeichen für "Hand" oder "Faust" und gibt in unserem Kontext dem Taiji die Bedeutung von "kämpfen", und zwar "mit bloßen Händen". In dieser Logik lautet die Übersetzung von Taijiquan dann: Kämpfen ohne Waffen nach den Prinzipien der interagierenden Kräfte von Yin-Yang. Hier wird also der taoistische Ansatz innerhalb der chinesischen Kampfkünste (Wushu) betont, auch wenn es im praktischen Training gleichfalls um Meditation in Bewegung, Gesundheitspflege durch Qi-Kultivierung, Körperschulung als ästhetischer Ausdruck, sowie geistige und moralische Persönlichkeitsentwicklung durch angewandte, symbolisch-praktische Philosophie handelt.
In den letzten Jahrhunderten entwickelten sich verschiedene Schulen und Stile des Taiji-Trainings heraus, die oft als Familienlinie weitergegeben und auch so benannt wurden (z.B. Chen, Yang, Sun, Wu). Dazu kommt noch die Übertragung in den taoistischen Klöstern der Berge (Wudang) und die offiziellen Formen des modernen China (Peking-Stil.)
Neben dem Training der Kampfkunst-Anwendung (Application) und der Partnerarbeit im TuiShou (schiebende Hände) hat jeder Stil eigene Choreographien von Bildern und Stellungen, sogenannte Hand-Formen entwickelt, von denen es sowohl lange (teilweise mit mehr als 100 Bildern) und kurze Varianten gibt.
Ich selbst arbeite beispielsweise gerne mit Formen aus dem Feld des Yang-Stils, in die ich auch Auffassungen der Wudang-Dynamik einfließen lasse, alles ohne mich dogmatisch um Stilreinheit zu kümmern ;-)





Taiji-Waffen: Schwert, Säbel, Fächer etc.

Wenn es also den Begriff des Trainings "mit der leeren Hand" gibt, dann natürlich als Abgrenzung zum Training mit Requisiten: traditionell gibt es neben dem Schwert, Säbel und Stock auch Fächer, Lanze und Hellebarde. Je nach Charakter des Instruments werden verschiedene Herausforderungen an den Übenden gestellt und ihm dann auch einen differenzierten Genuss an Bewegungserfahrung beschert. Zu diesen Taiji-Requisiten trainiert man ebenfalls jeweils eigene Formen, deren Abläufe sich aus den Einsatzmöglichkeiten, also Anwendungstechniken der jeweiligen Waffe ergeben: teilweise können Stellungen aus den Hand-Formen adaptiert oder variiert werden, dann wiederum gibt es ganz spezifische Bilder mit eigener Grazilität.




Schwierigkeitsgrad beim Taiji mit der Waffe ist zweifellos die Anforderung, das Requisit als Verlängerung des Körpers zu integrieren, also "eins zu werden mit der Waffe". Dafür braucht es gute Erdung und Struktur in der Körperhaltung bei Aufrechterhaltung der bereits in der Hand-Form erlernten Entspannung. Nur so lässt sich die Yin-Yang-Qualität und der Qi-Fluss aus dem eigenen Zentrum (Dantien) heraus bis in die Spitze der Waffe übertragen und mobilisieren. Ergo: Es ist durchaus sinnvoll, sich eine gewisse Taijiquan-Erfahrung anzueignen, bevor man zu den Waffen greift.

Anreiz für das Erlernen einer Waffen-Form ist paradoxerweise die Option, das Üben mit dem Requisit gar nicht als kriegerisch oder gewalttätig, sondern eher mit spielerischer, tänzerischer Leichtigkeit zu erleben. Nicht umsonst kursieren oft Bezeichnungen wie "Fächerspiel" oder "Schwerttanz".



Meine Erfahrung diesbezüglich ziehe ich aus einem nun bald zwei Jahrzehnte andauerndem Ausprobieren mit der traditionellen Yang-Stil Schwert- und auch Säbel-Form, sowie der Regenbogen-Fächerform. 


Living Tao Taiji

Auch wenn das Taiji eine klassische Kunst ist und ohne die traditionelle Übertragung nicht denkbar ist, die Zeit bleibt nicht stehen. Zum Glück könnte man sagen, denn wer möchte unterwürfig vor verstaubten Konventionen knien, die im alten China schon eine Tendenz zur Unmündigkeit beiinhalteten. Wie die erst seit einigen Jahrzehnten stattfindende Begegnung von fernöstlicher Weisheit mit der westlichen Moderne aussehen kann, dafür bietet das LivingTao Taiji ein farbenreiches Beispiel: 


Im Zeitgeist der Hippie-Kultur bildete sich diese Blüte auf der bunten Taiji-Wiese, als Master Chungliang Al Huang in den 60er Jahren aus dem konservativen Taiwan auf die tanzenden Blumenkinder Kaliforniens traf. Im Austausch mit philosophischen Autoren wie Alan Watts und renommierten Musiker wie Joan Baez oder David Darling entwickelte er ein offenes System aus spielerischen Tao-Teachings und getanzter Kalligraphie. Mir fiel schon die Kinnlade herunter, als ich zum ersten Mal in dieser alle Ernstheit entwaffnenden Leichtigkeit stand ;-)
Diese Taiji-Variante zeichnet sich also weniger durch Erwartung an Formtreue aus, denn durch die Bereitschaft, sich schwingend auf den taoistischen Fluss der fünf Elemente einzulassen. 
                                                                         (mehr Infos dazu hier: www.livingtao.org)



Taiji in Tanz und Theater 

Und dann gibt es noch die Verbindung von Taiji und der Bühnenkunst. Ähnlich wie das Kung-Fu mit seiner Technik und dem martialischen Ausdruck in der Peking-Oper präsent ist, so finden auch die weichen Stile immer wieder ihren Weg in das asiatische Tanztheater. Ich selbst war über die Jahre immer wieder Teil einer vietnamesischen Tanzshow von Nathaly Thrin, die an Festtagen in der Community alte Legenden pathetisch-ironisch auf die Bühne gebracht hat.


Und so ist der Schritt nicht mehr weit, aus dem Blickwinkel eines zeitgenössischen Bühnenverständnis die performativen Möglichkeiten von Qi-Flow und Taiji-Bewegungsqualität auszuloten. Von hier aus stellen sich fast automatisch Verbindungen zu modernen Tanztechniken her und hier liegen auch die Wurzeln für den von mir entwickelten Ansatz des TaoMovement. 
Mit Zedernhain.Arts habe ich vor einigen Jahren dann auch schon eine Plattform für Projekte und den Austausch zu künstlerischen Themen im Bereich zwischen kontemplativem Tanz sowie Theater und Bühnenkunst gegründet. Detaillierte Infos und Berichte zu diesem Schwerpunkt finden sich auf meinem anderen Blog: 
www.zedernhain.blogspot.de



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