Donnerstag, 30. Juli 2015

Grundlagen zu TaoMovement...

... eine Vertiefung zum Thema, Methodik und Begriffen findet sich hier:

Die veröffentlichten Ergebnisse der neueren Faszien-Forschung in der Sportmedizin waren für mich wie ein "Missing Link" zwischen meinem eigenen Experimentieren mit den Möglichkeiten der "Taiji-Qualität" außerhalb des klassischen Kontextes einerseits, und meinem praktischen Interesse an den weichen, geschmeidigen und mühelosen Stilen des zeitgenössischen Tanzes andererseits. 
Dabei teile ich nicht so sehr die allgemeine Begeisterung der Sportmediziner und -pädagogen über die neuen "bahnbrechenden" Erkenntnisse zur Funktionsweise von Bewegungsprozessen im "Wunderwerk" Körper (in den fernöstlichen Übungswegen ist dieses Wissen zumeist schon praktisch integriert). Für mich war vielmehr jetzt mit der Faszien-Forschung die geeignete fachliche Sprache aufgetaucht und ein stimmiges westliches Körperverständnis formuliert, um Taiji/Qigong und Tanzwissenschaft miteinander in Beziehung setzen zu können.

Hier ein Filmausschnitt zum faszialen Gewebe unter der Haut:




                                 


In der praktischen Bedeutung und Anwendung als Faszien-Training werden von der Sportmedizin folgende (zum Teil "alte Bekannte" als) wichtige Aspekte formuliert:

1) Fascial Release durch tonussenkende Übungen zum Lösen von subtiler Verspannung im Körper und Gewebe

2) Fascial Strech als multidimensionale Dehnung mit unterschiedlichen Richtungsvektoren; zum Einen in der Qualität von langsamer, hineinschmelzender Dehnung (Melting Strech) und andererseits mit kurzem, sanftem Federn (Minibounces)

3) Rebound Elasticity wie wir sie in langen Schwüngen mit weichen Richtungswechseln und anderen kinetischen Sequenzen im gebunden Bewegungsfluss finden

4) Sensory Refinement, hier der Bezug zur Propriozeption als sinnliche Selbstwahrnehmung in der Bewegung; vor allem die erspürenden, fließenden Bewegungen, die den Akteur in einen Prozess der motorischen Verfeinerung geleiten.



An diesem Punkt knüpft fast nahtlos das Verständnis der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) an, die den Körper nicht nur grobstofflich als materielle Komposition aus Knochen, Muskeln, Sehnen usw. begreift, sondern auch von feinstofflichen Kanälen (Meridianen) durchzogen sieht, durch die unsere subtile Lebensenergie (Qi oder Chi) zirkuliert: Der Qi-Flow ist demnach von fundamentaler Bedeutung für die Gesundheitspflege mittels kultivierende Übungen (Qigong) und spielt im medizinischen Diskurs über Heilungsmethoden (z.B. Akupunktur) eine herausragende Rolle. Zudem wird jene subtile Energie auch in den fernöstlichen Kampfkünsten (Wushu) gezielt trainiert und differenziert zur Verteidigung oder für den Angriff eingesetzt.



Auch im Taiji (Tai Chi) werden die Energiekanäle  durch die Koordination von Atmung und Bewegung aktiviert und durch sanftes Handeln das Meridian-System stimuliert. Zentral ist dabei, durch vielfache Wiederholung der Übungssequenzen eine enorme Präzision in der Motorik zu entwickeln, um sowohl Muskeltonus als auch geistige Spannung dosieren zu können. Dies geschieht zumeist in einem kontemplativen Zustand von hoher, aber entspannter und selbstreflexiver Achtsamkeit. Von Praktizierenden werden im Übungsprozess mit der Zeit oft Erfahrungen von "Öffnung innerer Räume" oder "Wahrnehmung der Kinesphäre" beschrieben. Vor allem entsteht dann ein Gefühl von Mühelosigkeit, als ob die Bewegung ganz von alleine entsteht (Wuwei: Handeln durch Nichthandeln).


Um diese Mühelosigkeit oder Leichtigkeit, also das "Reiten auf dem Qi" aber praktisch entwickeln zu können, braucht es zunächst mal den Rückgriff auf die Theorie. In der Jahrtausend alten chinesischen Philosophie des Taoismus (Tao: der Weg, wie die Dinge funktionieren und sind) findet sich das Yin-Yang-Prinzip: es beschreibt eine komplexe Einheit der Welt als Vereinigung von gegensätzlichen Polen zu einem komplementären Ganzen. Das bedeutet, dass die Phänomene und Erfahrungen in und um uns herum nicht als feste Dinge mit eindeutigen Zuschreibungen aufgefasst werden, sondern in ihrem dynamischer Wandel begriffen werden. In der Anwendung heißt dies, dass Yin-Yang nicht die feststehenden Eigenschaften von etwas ausdrücken, sondern das Verhältnis der Dinge zueinander, bei der Tendenz und Gegentendenz in ausgewogene Balance gebracht werden müssen. 

Für den Körper in Bewegung bedeutet dies, dass polare Aspekte wie z.B. Handeln und Geschehenlassen, oder auch Entspannung und Wachheit in einem achtsamen Verhältnis ausbalanciert werden sollen. In den klassischen Schriften des Taiji gibt es dazu oft Erläuterungen, die gerne mal metaphorische Begriffe von "steigen und sinken" (des Körperschwerpunktes) oder "voll und leer" (von Energie oder Gewicht) verwenden. In der Taiji-Praxis meint dies zum Beispiel, dass es je nach Moment aktive und passive Körperteile gibt, die entlang der Körpermittelachse als deutlich polarisiert empfunden und energetisch auch so eingesetzt werden, um die Dynamik des Qi-Flusses zu fördern. Denn wenn ein Aspekt zu sehr betont wird (beispielsweise zuviel Kraft oder Wollen) und der andere Pol dadurch blockiert oder gehemmt wird, dann stellt sich der mühelose Flow aus Leichtigkeit nicht ein.

Der Nutzen dieses Konzeptes für die Kampfkunst als auch für den Tanz liegt meiner Meinung nach klar auf der Hand, und auch als generelle Lebenshaltung bieten sich hier ganz offensichtliche Vorteile... 

Im zeitgenössischen Tanz der westlichen Hemisphäre findet sich der Aspekt von deutlicher Entspannung und Loslassen in der sogenannten Release-Technik, bei der dem organischen Bewegungsfluss der Tänzer so wenig (muskulärer) Widerstand wie möglich entgegengesetzt wird. Dazu wird, ähnlich wie im Taiji, mit Loslassen/Sinken und Steigen/Aufrichten mit oder gegen die Gravitation gearbeitet. In den dynamischen Bewegungssequenzen wird vor allem das Momentum genutzt, Phasen von Fallen und Wiederauffangen lassen den Körpers in neue (Durchgangs-)Positionen schwingen. Dabei wird Beschleunigung (Energie Projektion) und Entschleunigung (Energie Absorption) zielgerichtet eingesetzt, um den Tanz in Phrasen zu strukturieren.

Diese Technik des Loslassens baut natürlich auf die Elastizität des Körpers und nutzt das fasziale Gewebe, samt Bänder und Muskeln, ebenso wie die innere Rotation der Gelenke, um katapultartig Bewegungsenergie freisetzen zu können. Dies geschieht dann zumeist in Spiral Moves, kreisartig wird die Bewegung vom Zentrum aus in die Peripherie geschickt und kehrt dann für den nächsten Impuls wieder ins Zentrum zurück. Dies ist fast das gleiche Prinzip wie im Taiji, nur dass man hier im Tanz sich bewusst aus dem Gleichgewicht begibt (off balance), wodurch dosiert die Kontrolle des Kopfes und auch klassische Körperpositionen aufgegeben werden können.

Hier etwas Anschauungsmaterial dazu:





Weiterer wichtiger Aspekt westlicher Methodik des modernen Tanzes ist der Begriff Body-Alignment, was sich zunächst auf die Ausrichtung des Körpers entlang von Achsen und Linien im Raum bezieht. Dies berücksichtigt unsere grundlegende Körperarchitektur samt unsere organischen Bewegungsmöglichkeiten und beschäftigt sich mit der Stellung von Rumpf, Zentrum und Extremitäten zueinander. 
Im Training wird dafür auch mit Propriozeption, also erspürender Selbstwahrnehmung in der Körperausrichtung durch Mikro-Bewegungen gearbeitet, wodurch wir eine präzise Rückmeldung über die Position unsere Körperteile bekommen. Ziel dieser Bemühungen ist es, eine effektivere Organisation  der Körperteile zu erreichen, und zwar sowohl ästhetisch (Körperausdruck) als auch in der Verletzungsprophylaxe, um nachhaltig mit dem Körper arbeiten zu können.


Erneut sehe ich hier einen klaren Bezug zu den fernöstlichen Übungssystemen (Taiji/Qigong), bei denen Propriozeption und effektive Körperorganisation für den Aufbau einer stabilen Struktur, im Sinne von Verwurzelung (stabiler Stand) und einer idealen Kraftübertragung vom eigene Zentrum (Dantien) in die Arme und Hände.

In den praktischen Übungen zum Body-Alignment finden wir demnach ein Aus- und Aufdehnen des Körpers, also ein fasziales Aufspannen des Gewebes. Ebenso das das Öffnen der Gelenke und die Aufrichtung der Wirbelsäule bei gleichzeitiger Wahrnehmung und Nutzung der Gravitation als Gegenpol. Die Bewegungs-Sensorik des Tänzers wird folglich eingesetzt, um auch auch eine innere Ausrichtung  zu etablieren.
In der Konsequenz ist es somit möglich, den eigenen Raumfokus zu verfeinern, also die Vorstellungskraft für Bewegung zu schulen und diese in den Raum hinein zu projizieren. Dies hat eine Ausdehnung und Vergrößerung der Bewegung zur Folge und kann als  Gewinn für die eigene Ausdrucksfähigkeit im Tanz gewertet werden.

Ein inspirierendes Beispiel für die Umsetzung von Alignment, gekoppelt mit energetisierter Atmung und Release-Technik finde ich bei Saburo Teshigawara:





Weitere Infos und Berichte zum Themenbereich Tanz, Theater und Bühnenkunst finden sich auf meinem anderen Blog zu Zedernhain.Arts, Plattform für Performance-Projekte und den künstlerischen Austausch:
www.zedernhain.blogspot.de


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen